Die Russische Föderation ist ein Staat der Superlative. Allein durch ihre Fläche von 17 Millionen Quadratkilometern vereinen sich in ihr neun Zeitzonen und über einhundert Ethnien. Dass Deutsche mit Russland klischeehaft verschneite Schneefelder, die Zwiebeltürme des Kremls und die emotionale „russische Seele“ assoziieren, illustrieren jüngste Umfrageergebnisse bezüglich einer Ausstellung über die russisch-deutschen Beziehungen. Schwermut und Melancholie gehören demnach ebenso zum russischen Volk wie seine Vorliebe für gesellige Abende mit viel Gesang und noch mehr Wodka.
In jüngster Zeit gesellte sich für viele Deutsche vermutlich das Bild junger Russen hinzu, die gegen die Politik und die Medienkontrolle in ihrem Staat protestieren. Geblieben ist der russischen Großmacht trotz all der Veränderungen ihr breites kulturelles Angebot mit Literatur, Theater, Oper und Ballett auf Spitzenniveau sowie reichen Museumsschätzen. Insbesondere die Hauptstadt Moskau und die ehemalige Zarenstadt St. Petersburg gehören zu kulturell bedeutsamen Metropolen, die gleichzeitig voller jungem Leben sind. Flusskreuzfahrten an der Wolga, Reisen ans Schwarze Meer oder mit der Transsibirischen Eisenbahn sind seit langem bei internationalen Touristen und Studenten gleichermaßen beliebt.
Hochschullandschaft
Nach dem Niedergang des sowjetischen Systems brauchte die russische Hochschullandschaft einige Zeit, um sich neu zu ordnen. Im internationalen Wettbewerb spielte sie längere Zeit kaum eine Rolle. Es kamen zwischenzeitlich so viele private Neugründungen hinzu, dass heute der allergrößte Teil der ungefähr 3.200 Hochschulen privat geführt wird. Die Wissenschaft sollte nach der alten Bildungsdoktrin der Sowjetunion dem Staat nutzen und nicht sich selbst genügen, so wie es zum Beispiel in Deutschland traditionell der Fall ist.
Es existieren im heutigen Russland sowohl Universitäten als auch Akademien und andere Hochschuleinrichtungen. Fast immer liegen ihre Schwerpunkte auf der Lehre und kaum auf der Forschung. Die Ausbildung von Fachkräften und Spezialisten steht in Russland traditionell im Vordergrund. Die Forschung findet fast ausschließlich an den staatlichen Universitäten statt. Die dortigen Erkenntnisse fließen im Idealfall direkt in die Lehre ein.
Neben einigen Volluniversitäten gibt es in Russland zahlreiche, auf bestimmte Fachgebiete spezialisierte Universitäten, wie beispielsweise Pädagogische, Medizinische oder Technische Universitäten. Die Akademien sind mit Universitäten vergleichbare akademische Einrichtungen. Sie sind jedoch kleiner und nur auf ein Fach ausgerichtet. An den sogenannten Instituten wiederum wird nur gelehrt und eine Promotion oder Habilitation ist nicht möglich.
Um die Abwanderung wissenschaftlicher Spitzenkräfte ins Ausland zu stoppen, ergriff die russische Regierung in letzter Zeit einige Maßnahmen: Dazu zählt die Bezuschussung der staatlichen Hochschulen mit üppigen Fördergeldern und die Ausschreibung hoher Stipendien. Außerdem wurden die Zusammenschlüsse etablierter Hochschulen zu neuen, autonomen Spitzenuniversitäten vorangetrieben. Zuletzt wurden zum Beispiel in diesem Rahmen die beiden ältesten Universitäten des Landes mit Sitz in Moskau und St. Petersburg zu Nationalen Universitäten ernannt. Außerdem fusionierten regionale Hochschulen zu Föderalen Universitäten.
Die seit jeher wichtigste Rolle in Russlands Wissenschaftswelt spielt die Moskauer Akademie der Wissenschaften (Rossijskaja Akademija Nauk, kurz RAN). Hier wird die nationale Grundlagenforschung betrieben. Auch die RAN wird seit jüngster Zeit intensiv durch die Regierung gefördert. Sie ist ein Verbund aus Wissenschaftlern von Universitäten und anderen Forschungsinstitutionen. Häufig lehren die Akademiemitglieder an den Hochschulen, oder Universitätsprofessoren sind gleichzeitig Mitglieder der RAN. Eine Mitgliedschaft an der RAN ist äußerst prestigeträchtig und der entsprechende Titel Academicus genießt ein höheres Ansehen als eine Professur.
Neben den Universitäten, Akademien und der RAN gibt es zahlreiche Einrichtungen von nichtuniversitärem Status. Das Promotions- und Habilitationsrecht besitzen sie nicht. Sie vermitteln eine mittlere bis höhere berufliche Bildung. Ihre berufsbildenden Programme entsprechen in etwa jenen deutscher Berufskollegs oder Fachhochschulen. Vor allem in den Fachbereichen Recht, Wirtschaft und Computerwissenschaften sind sie breit aufgestellt. Zum Ende einer solchen zwei- bis dreijährigen Studienzeit werden dann Diploma vergeben.
Überwacht werden alle Bildungseinrichtungen und ihre Abschlüsse vom russischen Bildungs- und Wissenschaftsministerium. Für die Finanzierung, die Studieninhalte und die Lehrstuhlbesetzung sind hingegen die jeweiligen Fachministerien verantwortlich. Bei den Medizinischen Hochschulen ist das zum Beispiel das Gesundheitsministerium. Eine weitere Kontrollinstanz ist die sogenannte NIC ARM, die nationale russische Behörde für wissenschaftliche Akkreditierung und Mobilität, die alle Studiengänge akkreditiert.
Seit der Westöffnung Russlands ist der Austausch zwischen deutschen und russischen Hochschulen selbstverständlich weit intensiver geworden. Teilweise wird zwar auf Hochschulbeziehungen aus der Zeit der ehemaligen DDR aufgebaut, jedoch haben sich auch zahlreiche neue Kontakte ergeben. Es kam in diesem Zuge zu der Schöpfung neuer Kooperationen, deutsch-russischen Doppelabschlüssen etc. Heutzutage stellt Deutschland für russische Studenten das beliebteste Auslandziel dar. Deutsche Studenten finden den Weg seltener nach Russland. Bis sich die russische Hochschullandschaft wirklich dem Westen gegenüber öffnen konnte, dauerte es allerdings auch lange. Das Land war zunächst aufgrund geringer ausgeprägter Sprachkenntnisse unter der Bevölkerung und der mangelhaften Infrastruktur wenig anschlussfähig für Europa.
Studiensystem
Russlands akademisches Jahr reicht von September bis Juni. Die Vorlesungen, Seminare und Kurse dauern jeweils etwa eineinhalb Stunden. Häufig werden begleitende Seminare angeboten, so dass die Studenten die Inhalte aus den Vorlesungen wiederholen und vertiefen können.
Für gewöhnlich findet der Unterricht frontal vor klassenähnlichen Gruppen statt. Aufgrund dieser „Klassenverbände“ gibt es anstelle von Vorlesungsverzeichnissen schulartige Stundenpläne, die zentral festgelegt werden. Es ergeben sich also kaum Wahlmöglichkeiten für die Studenten. Auf die regelmäßige Anwesenheit und auf die Erfüllung der Hausaufgaben wird großen Wert gelegt. Die Studienleistungen werden durch Referate, Klausuren und Hausarbeiten erbracht. Sie werden im alten Studiensystem in Zensuren benotet, in den reformierten Studiengängen im Credit Points-System. Die Prüfungszeit liegt immer am Ende des Studienjahres und im Januar/Februar.
In Russland gehen die Schüler früher von der Schule ab als beispielsweise in Deutschland. Daher wird in ihren ersten zwei Studienjahren verstärkt Wert auf allgemeinbildende Kurse mit fächerübergreifenden Inhalten gelegt. Die fachliche Spezialisierung folgt dann im Anschluss. Von einer wirklichen Forschungsarbeit kann erst im Rahmen des Promotionsstudiums gesprochen werden.
Russland ist Mitunterzeichner des Bologna-Abkommens.
Seit dem Jahr 2010 werden die entsprechenden Reformprozesse umgesetzt, die sich hauptsächlich in neuen Studienabschlüssen ausdrücken. Die traditionellen Studiengänge zum Diplom Spezialista wurden um die Abschlüsse Bakalavr und Magister ergänzt. Sie sind Äquivalente zu den internationalen Titeln Bachelor und Master. In der Arbeitswelt werden sie noch nicht überall voll anerkannt, weswegen viele Bakalavr-Absolventen das letzte Studienjahr eines Diplom Spezialista anschließen.
Das traditionelle Diplomstudium zum Diplom Spezialista dauert insgesamt fünf Jahre. Der Titel setzt sich aus der Kombination von Diploma und der Fachbezeichnung zusammen. Inhaltlich besteht es anfangs aus einem allgemeinbildenden Teil und einer darauffolgenden fachlichen Ausbildung. Ein solcher staatlicher Diplomabschluss zum „Spezialisten“ ist insbesondere in praxisbetonten Fächern wie Ingenieurwissenschaften oder im Lehramt sinnvoll. Zur Studienhalbzeit wird ein Vordiplom abgelegt. Im letzten Studienjahr wird dann eine schriftliche Diplomarbeit verfasst, die mündlich verteidigt wird. Die Arbeit ist in enger Rücksprache mit dem betreuenden Professor anzufertigen.
Der Reformstudiengang zum Bakalavr ist weniger praktisch als theoretisch angelegt. Bis zum Abschluss dauert es vier Jahre. Ein solches Studium ist in allen Fachbereichen außer der Medizin möglich. Zu der Abschlussprüfung gehören eine schriftliche Thesis und eine Mindestzahl an Credit Points. Der Bakalavr ist die Mindestvoraussetzung für ein Magistr-Studium. Dieses zum Master gleichwertige Aufbaustudium beinhaltet eine zweijährige fachspezifische Spezialisierung. Danach kann noch promoviert werden.
Traditionell erfolgt die Promotion in Russland über die Aspirantur, die an eine Universität gebunden ist. Sie bedeutet die Fortsetzung des Studiums nach einem ersten erfolgreichen Abschluss. Bis der Aspirant sich schließlich Kandidat Nauk, also Kandidaten der Wissenschaften, nennen darf, dauert es in der Regel drei Jahre. Die Doktorarbeit muss vor einem Komitee verteidigt werden und dann von der Obersten Attestatskommission (Vysshij Attestatsionnyj Komitet) akkreditiert werden. Sie verleiht dann den Titel. Eine neuere Variante zur Promotion ist der Abschluss Soiskatel. Das ist eine externe Promotion ohne zeitlich fixen Rahmen und ohne jede Lehrstuhlbindung oder Lehrverpflichtung.
Studienvoraussetzungen
In Russland existieren für ausländische Studienbewerber bisher keine einheitlichen Aufnahmeregelungen, so dass diese hochschulintern geregelt werden. Dies gilt für sämtliche Studiengänge, sei es zum Diplom Spezialista, Bakalavr oder Magistr. Ein deutsches Abitur kann teilweise für ein Erststudium ausreichend sein. Eventuell kommen jedoch interne Aufnahmeprüfungen oder geforderte Mindestschulnoten hinzu. Aufgrund dessen sollte man sich immer weit im Voraus bei der entsprechenden Hochschule informieren.
Selbstverständlich sollten Studenten in Russland ausreichende Russischkenntnisse besitzen, um am Unterricht teilnehmen zu können. Die meisten Hochschulen führen im Vorfeld Einstufungstests durch, nach denen dann der individuelle Studienplan ausgerichtet wird. Außerdem bieten sie üblicherweise unterstützende, jedoch kostenpflichtige Sprachkurse an. Im Alltagsleben sind funktionale Russischkenntnisse ebenfalls unerlässlich, da nur ein kleinerer Teil der Bevölkerung Englisch spricht.
Kosten und Finanzierungsmöglichkeiten
Inzwischen erheben fast alle russischen Hochschulen Studiengebühren. Internationale Studenten zahlen in der Regel höhere Beiträge als einheimische. An staatlichen Hochschulen liegen die Beträge zwischen umgerechnet EUR 1.000 und 3.500 pro Jahr. An den privaten Universitäten sind es jährlich hingegen bis zu EUR 12.000. Man sollte sich frühzeitig über die Gebührenhöhe informieren und am besten mit der entsprechenden Hochschule einen Vertrag darüber abschließen. Dabei werden außerdem Gegenleistungen, wie Unterkunft und Verpflegung oder Sprachkurse aufgeführt und verrechnet. Die Höhe der Studiengebühren richtet sich immer nach dem Studienfach und -programm.
Die Lebenshaltungskosten liegen in Russland auf einem ganz unterschiedlichen Niveau. Sie sind selbstverständlich stark davon abhängig, ob man in einer Metropole wie Moskau oder St. Petersburg oder in einer ländlichen Region lebt. Allgemein sind sie aber niedriger als in Deutschland.
Finanzielle Fördermöglichkeiten für ein Auslandssemester oder ein längeres Studium in Russland gibt es einige, z.B. das Programm Go East des DAAD. Daneben existieren zahlreiche universitäre, politische, wirtschaftliche oder kulturelle Stiftungen und Stipendienprogramme, die sich der Förderung besonders begabter Studenten verschrieben haben. Eine andere Variante ist das Auslands-BAföG des Bundes, das unabhängig von einer Inlands-BAföG-Förderung ist, und für ein Auslandssemester oder -jahr genutzt werden kann.
Visums- und Einreisebestimmungen
Um nach Russland einreisen zu dürfen, benötigt man zunächst einen noch mindestens sechs Monate gültigen Reisepass. Das Studentenvisum wird im Vorfeld vom Russischen Konsulat in Berlin ausgestellt. Dafür ist neben dem gültigen Reisepass die Aufnahmebestätigung der russischen Universität vorzulegen. Auch ein negativer HIV-Test gehört zu den Anforderungen. Ist man dann in Russland eingetroffen, sollte der nächste Gang zum Zentrum für Internationale Angelegenheiten führen, wo man sich registrieren lässt.
Internationale Studierende sind nicht wie ihre einheimischen Kommilitonen über das russische Gesundheitssystem mitversichert. Daher sollten sie sich um eine private Auslandskrankenversicherung kümmern. Das russische Konsulat berät, welche deutschen Dienstleister anerkannt werden.